/ Die Grußworte
Sa, 16. September 2023, 19.15 Uhr – Akademie der Künste, Berlin / Hanseatenweg 10 / Buchengarten
/ Die Grußworte
„Meine Damen und Herren, wir machen Ihnen davon Mitteilung, dass am heutigen Tage der Unterhaltungsrundfunkdienst mit Verbreitung von Musikvorführungen auf drahtlos-telefonischem Wege beginnt. Die Nutzung ist genehmigungspflichtig.“ Mit diesen Worten verkündete am 28. Oktober 1923 der Sprecher vom Dienst den offiziellen Beginn des Rundfunks in Deutschland. Radiohören war genehmigungspflichtig – und kostete seinerzeit 350 Milliarden Reichsmark für ein Jahr. Zu Beginn dominieren Programme wie Morgen-Gymnastik und kirchliche Feiern, Kochrezepte und abends ein Konzert oder ein „belehrender Vortrag“ und zum Schluss das Deutschlandlied.
Ein Jahr nach Gründung, 1924, ging das erste Hörspiel über den Sender, Hans Fleschs ,„Zauberei auf dem Sender“. Intellektuelle und Schriftsteller jener Tage begannen sich für das neue Medium zu interessieren: Bertolt Brecht, Arnolt Bronnen, Alfred Döblin, Walter Ruttmann und Friedrich Wolf dachten über die medialen Möglichkeiten des Radios nach, bevor die Nazis es zu einer wirkmächtigen Propagandamaschine umbauten.
1969, 45 Jahre nach der Ausstrahlung des ersten Hörspiels, verkündete Wolf Wondratschek, dass ein Hörspiel nicht unbedingt ein Hörspiel sein muss, will heißen „dass es nicht den Vorstellungen entsprechen muss, die ein Hörspielhörer von einem Hörspiel hat.“ Heute, nochmal 54 Jahre später kostet das Radiohören statt 350 Milliarden Reichsmark im Jahr, 18,36 im Monat. Und keine Frage: Es gibt interessante Hörspiele und Formate, aber eben leider auch einen Trend zur Durchhörbarkeit, zur Vertatortisierung, Podcastisierung, zu Serien, die sich Staffel für Staffel vermehren, statt des Mutes zu mehr Risiko, Klangfarben, dem Räuspern, der Denkpause, dem Offenen, der Irritation.
Doch da kommt die freie Szene ins Spiel, der wir von der Sektion Film- und Medienkunst seit 2020 eine Heimat bieten. Das Hörspiel schwebt nicht mehr durch den Äther, sondern gelangt nun über elektromagnetische Wellen oder Datenpakete zum Empfänger und der Empfängerin – hier und heute direkt vor Ort, wo das gemeinsame Hören im Vordergrund steht. Hören hat auch viel mit Zuhören zu tun. Eine Tugend, die wir dringend brauchen. Großer Dank und Respekt dem ganzen Team des Festivals und der Technik.
Hören wir also jetzt der Schriftstellerin, Hörspielautorin und Vizepräsidentin der Akademie der Künste Kathrin Röggla zu, die heute als Serienpodcasterin zu uns spricht
Cornelia Klauß, Sekretär der Sektion Film und Medienkunst der AdK, Berlin
Wie? Sie hören nichts mehr?
Meine Damen und Herren, geneigte Zuhörerschaft, liebe Hörspielaficionados und Flitzerinnen,
Wie? Sie hören nichts? Sie hören nichts mehr? Ist die Verbindung schlecht? Ein Knacken in der Leitung? Sehen Sie, ich wusste es gleich, Sie haben mich noch nicht runtergeladen. Sie kommen und hoffen auf eine klare On-Air-Welt mit jeder Menge brennender Mikros, und MikroFlitzer ohne allzu viele Nebenspuren. Und Sie liegen mit ihrer Hoffnung zumindest hier richtig, hier auf dem Berliner Hörspielfestival der freien Szene, zu dem ich hier begrüßen darf.
Es ist wunderbar und einzig dem Festival-Team zu verdanken, dass es sich nicht entmutigen hat lassen, in dem Moment, als sie erfahren haben, dass sie dieses Jahr keine Drittmittel vom Kultursenat bekommen. Sie haben sich dafür entschieden, das Festival trotzdem durchzuziehen. Hier wird auf idealistischer Basis gearbeitet. Schön für uns, nicht ganz so schön für sie. Gleich zu Beginn großen Dank dafür! Ich muss zugeben, ich weiß manchmal nicht mehr weiter. Die Hörspielwelt steht Kopf. Es ist die freie Szene, die sich heute hier versammelt, die in vielen Schüben der Selbstermächtigung mittlerweile eine veritable Stütze für eine Gattung darstellt, die in ihrer Vielfalt bisher und immer noch auch im öffentlich-rechtlichen Hörfunk vertreten ist, wenn auch schon schmäler, und sehr von dieser Transformation ins Digitale betroffen. Umso wichtiger, dass wir hier zusammenkommen. Beziehungsweise: dass ihr hier zusammenkommt.
Immerhin wissen wir seit letzter Woche in dieser Akademie von verantwortlicher Seite, dass in der ARD kein Cent bei der Kultur gekürzt wird. Daran werden wir sie erinnern. Der amtierende Vorsitzende der ARD sagte auch, es werde nur umgeschichtet, wohin auch immer, mit dem Vorbehalt, dass digitale Podcasts nicht mit linearen programmierten Formaten zu vergleichen sind. Das künstlerisch komponierte Hörspiel, so hört man immer wieder, wird es da etwas schwerer haben, die Klangkunst sowieso.
Warum müssen akustische Ereignisse, die ich von Plattformen beziehe, mich „persönlicher“ ansprechen? Überhaupt: Wo sind die öffentlich-rechtlichen Plattformen, die uns versprochen werden, die nicht so aussehen, als wären sie aus einer 90er oder Nuller-Jahren-soap rausgezogen? Noch ist nicht viel klar, nur, dass Erzählformen dort heute tendenziell eher seriell sein sollen und am besten mit Krimi- und Mysteriegenre zu tun haben. Darauf kann ich mich einlassen und diese Rede im Serienformat halten. Also:
Geneigte Zuhörerschaft, liebe Hörspielaficionados,
Sie hören schon wieder nichts? Seltsame Nebengeräusche gar? Das passiert heute schon mal, wenn man nicht vorher runtergeladen hat – Geld, Erbschaften etc. zum Beispiel. Oder wenn man zu dem gemacht wird, was ein angeblich niedrigschwelliges Angebot benötigt. Zum Beispiel jung. Jung ist ja bekanntermaßen unbedarft und anspruchslos und doof. Sie sehen, es schleichen sich Nebenspuren ein. Unangenehme mitunter. Überhören können Sie aber nicht wie ich in Folge zwei meiner Begrüßung digital über den Spaß an der Sache rede. Beim letzten Mal ging es um Umschichtungen, und heute geht es um Podcasts. Sie folgen der privaten Ansprache und pflegen also eine Intimität, die ich hier nur schwer herstellen kann. Ich bin hier in meiner Begrüßung auch nur als 6-Teiler unterwegs, wenn auch nicht als eine mit einem Etat versehene ARD-Ausgründung, , sondern ehrenamtlich – also das kann dauern. Aber damit verrate ich Ihnen eines: Wir setzen hier aufs Risiko. Die Verbindung von Hören und Nichthören, die sich in diesem Raum einstellen wird, ist nicht von vorneherein der Akzeptanzfrage unterworfen, der Quotenerwartung, dem Sich-Rechnen-Müssen. Das macht den besonderen Reiz aus. Auch müssen wir nicht immer wissen, wie Zukunft geht – wir können sie vielfältig öffnen.
Geneigte Zuhörerschaft,
Sie hören nichts. Ist bekannt. Folge drei dieser Begrüßung stellt die Frage: Warum muss eigentlich alles gleich aussehen, um zu unterhalten? Und wie baut man das Zufallsmoment wieder ein, dass wir zufällig aufeinanderstoßen? Mit akustischer Kunst, mit Hörspiel. Mit Nonserialität? Denn manchmal will man sich ja nicht aktiv treffen, und tut es dann doch – und freut sich. Zum Beispiel in dieser Akademie, die sich seit vielen Jahren um das Hörspiel bemüht, ob mit „Radio Zukunft“, mit Hörspiel-„Anhörungen“, in Hintergrundgesprächen und offenen Briefen, in der Zusammenarbeit mit dem BHF und dem Studio für elektroakustische Musik, das den Förderpreis unterstützt mit der Möglichkeit, ein Stück in seinen Räumen zu produzieren. Auch ein Workshop zu immersivem Radio findet dort statt.
Geneigte Zuhörerschaft,
Sie hören immer wieder nichts. Jetzt sind es sie selbst. Ihre Ohren setzen besonders dann aus, wenn Institutionen ihre Beteiligung erwähnen. Gut. Das war ohnehin letztes Mal, jetzt sind wir schon woanders und stellen uns in Folge vier dieser Begrüßung die Frage, wem der öffentlich-rechtliche Rundfunk gehört – nein, das tun wir nicht. Wir werfen hier auch nicht mit Nebelkerzen, sondern wollen uns überraschen lassen. Wir sind hier nicht Netflix, sondern die freie Szene. Insofern wird diese serielle Rede nun leider eingestellt.
Schade, in Folge fünf wäre es um die Jugend gegangen, die Ohren der Jugend, die die Zukunft sich ballen lassen in einem Raum. Sie müsste aber nicht eine Legitimation darstellen, sondern wäre einfach da … schließlich wurde sie beteiligt.
In Folge sechs wären wir dann übereingekommen, dass wir kämpferisch bleiben müssen. Und unsere ganzen akustischen Phantasien nicht über Bord werfen dürfen …
Und Folge sieben … Ja, da wäre es nun wirklich interessant geworden. Vielleicht hätten wir da auf die vier Jahre Festivalförderung kommen können … bevor Folge acht zu den Danksagungen kommt. Aber lieber halte ich jetzt die Klappe in dieser Nichtsendung und übergebe mit großer Freude das Wort an das Leitungsteam des Festivals: Andreja Andrisević und Jochen Meißner …
Kathrin Röggla, Vizepräsidentin der Akademie der Künste, 16.9.2023
A: Vielen Dank, Kathrin Röggla,
B: Ja, wir sind hier nicht bei Netflix, wir fragen keine Focus-Groups, was wir machen sollten/müssten/dürften …
A: Wir sind ja nicht der WDR.
B: … und vor allen Dingen fragen wir nicht, was wir nicht machen sollen/müssen/dürfen.
A: Was soll dabei schon rauskommen.
B: Mögen hätten wir schon wollen, aber dürfen haben wir uns nicht getraut.
A: Aber was machen wir jetzt, nach dieser seriellen Rede, die mit ihrer eigenen Absetzung kokettiert?
B: Einen Reboot?
A: Eine Bonusfolge als Musical?
B: Besser einen Hidden Track!
A: Wenn Sie wissen was das ist, kommen Sie aus der CD-Zeit und sind damit definitiv zu alt für das öffentlich-rechtliche Hörspiel.
B: Denn das will seit Generationen jünger werden.
A: Und was hat man nicht alles versucht.
B: Neues Hörspiel, Pophörspiel, Radio Tatort, Comedy, Mystery, Serie und Podcast, Podcast und Serie und Podcast als Serie und Serie als Podcast.
A: Und? Hat’s genützt?
B: Die einen sagen so, die andern so.
A: Und wo verstecken wir jetzt den Hidden Track?
B: Am Ende von Rillen, Zeilen oder Zeichenketten.
A: Besser in aller Öffentlichkeit.
B: Umsonst und Draußen?
A: Im Netz und im Radio.
B: Ein ganzes Festival als Hidden Track.
A: Genau.
B: Mit Audiowalk, Ausstellung, Hörspielbus, Livekonzert, Netzwerktreffen, Podiumsdiskussion, Wettbewerben, Workshops und Publikumspreisen?
A: Genau.
B: Aber der Kultursenat will das dieses Jahr nicht.
A: Die Akademie der Künste aber schon, Und die Aktion Mensch auch. Und die Draußenstadt. Und Røde und Soundman auch. Und das Deutschlandradio ist auch wieder mit dabei.
B: Ja dann machen wir das. Vielen Dank.
A: Und nächstes Jahr?
B: Da feiern wir hundert Jahre Hörspiel!
A: Als abgeschlossenes Sammelgebiet?
B: Abwarten.
A: Wir könnten auf dem Sender zaubern.
B: Oder das Archiv recyceln.
A: Wie GlasBlasSing die Produkte aus dem Flüssigkeitenaufbewahrungsfachhandel?
B: Genau.
A: Und wie klingt das?
B: Nach Happy Hour!
A: Und was machen wir bis dahin?
B: Das was schon immer als das edelste Stilmittel im Hörspiel galt.
A: Pause?
B: Pause!
Jochen Meißner und Andreja Andrisević, Leitungsteam des BHF e. V.